Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Sie nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie akzeptiert unterschiedliche Lebensentwürfe.
– Koalitionsvertrag, S. 123, via lesarion
Tatsächlich birgt der Koalitionsvertrag ja sonst Konkretionen zu anderen Minderheitenfragen sehr wohl: Da ist in puncto Migrationspolitik von Zwangsehen und zur inneren Verfasstheit gar von Antisemitismus die Rede. Man wurde also kristallklar – aber zu Lesben und Schwulen eben nicht. Nicht dazu, dass es, die kriminalstatistischen Zahlen ernst genommen, mehr Gewaltakte gegen Homosexuelle und ihre Infrastruktur gibt als gegen Juden und Jüdisches – beispielsweise. Oder dass überhaupt Homophobie, egal in welchem Milieu, noch weit verbreitet ist: Vor allem an den Schulen – für eine großkoalitionäre Erwähnung dieser Hassstrukturen analog zum Antisemitismus, den (nicht allein) Juden zu fürchten haben, wollte man sich wohl nicht die Griffel schmutzig machen. Dass das Antidiskriminierungsgesetz nun endgültig beschlossen werden soll, ist kein Wunder: Das schreibt die Europäische Union vor.
– Quelle: lesarion.de
Als Lesbe oder Schwuler lebt’s sich im ach so furchtbaren katholischen Irland derzeit besser als in Deutschland. Da haben die Politiker (Thanks, David Norris – you rock!) wenigstens keinen Schiss, das Thema Homosexualität anzusprechen.
Liebe Politiker,
ich bin Mitte 20, meine Freundin ist 30*. Auch an uns geht der Zahn der Zeit nicht spurlos vorüber… (unter Beweis gestellt unter anderem hier)
Ich bin von Mutter Natur mit einem sehr gebärfreudigen Becken ausgestattet worden (Danke an dieser Stelle) und würde dieses gerne in nicht allzuferner Zeit dazu nutzen, Nachkommen zu produzieren. Ich verspreche auch, dass ich die ordentlich erziehe und ihnen verbiete homosexuell zu werden oder Regina Regenbogen zu gucken. Auch französische Chansons, Langspielplatten der Sugababes oder Musique de la Streisand kommen mir nicht ins Haus.
Bitte, bitte erlaubt mir doch zu heiraten. In Echt, mit allen Rechten, die die Heterosexuellen auch bekommen. So mit zwei-Elternteile-für-die-Kinder, Besuchsrecht für meine Frau wenn die Kleinen ’ne Blinddarmentzündung haben und so. Ich war ein braves Mädchen, wirklich.
Hochachtungsvoll,
die Tante von dichotomy
* Ja, liebe Politiker: Probleme kann man lösen. T und ich sind wieder da wo wir hingehören. Jeder an einem Ende der Loveline zwischen Wien und dem Fürstentum Lippe.
Was auch im Koalitionsvertrag steht – ich werde Dich weiterhin unterdrücken, wenn es die Vernunft gebietet! 😉
Dass die jüdische Minderheit in dem Artikel allerdings gegen die Homosexuellen eingesetzt wird, finde ich lachhaft und peinlich.
Kommentar by Nils — 9. Dezember 2005 @ 1:30
Ich finde es befremdlich, wenn eine so kleine Minderheit als stärker schützenswert empfunden wird, als eine Minderheit, die immerhin so minder gar nicht ist, mit ihren 7-10% (je nach Statistik) Anteil an der Gesamtbevölkerung. Man sollte meinen, dass in Deutschland jeder, egal welchen Gott er anbetet oder wen er liebt, gleich stark geschützt wird.
Kommentar by Carolin — 10. Dezember 2005 @ 18:54
Stimmt – warum sollte der Kondor mehr geschützt werden als der Hamster … ?
Mit Deinem letzten Satz hast Du recht – der deutsche Staat ist verpflichtet, jeden Bürger gleichermaßen zu schützen und seine Unversehrtheit nicht durch Ungerechtigkeit zu gefährden. Ob schwulen Juden oder lesbische Türkin ist da vollkommen wurscht.
Was am Jüdischen aber hervorgehoben schützenswert ist, ist eben nicht der Mensch sondern der kulturelle Repräsentant, der einen durch Katastrophen der letzten Jahrhunderte verlorengegangenen Teil europäischer Identität vertritt. Das „Homosexuelle an sich“ hat hingegen überhaupt keinen kulturellen und einen sehr fragwürdigen, lokalen, subkulturellen Eigenwert und ist daher nicht gesondert zu schützen.
Nichts gegen die Forderung einer gleichgeschlechtlichen Ehe oder einer rechtlich der Ehe gleichgestellten Partnerschaft – aber blöde kriminalstatistische Erhebungen um sich als schützenswertere Minderheit abheben zu wollen, ist peinlich. Der erwähnte schwule Jude und die lesbische Türkin sitzen in der Statistik dann ja total zwischen den Stühlen, wenn sie Opfer eines irgendmotivierten Übergriffs werden. Und dass homosexuelle Nichtjuden häufiger als heterosexuelle Juden Opfer von Übergriffen werden, liegt einfach daran, dass der steinewerfende Nazi eher Erstere als Letztere treffen kann (wegen der Minderheiten-Mehrheit) – und (hier kann man „leider“ ebenso wie „gottseidank“ einsetzen) am unwahrscheinlichsten einen Nazi.
Kommentar by Nils — 12. Dezember 2005 @ 10:05
Ich glaube der Artikel und ich meinen etwas ganz anderes als Du. Nicht das homosexuelle oder das jüdische an sich ist schützenswert, sondern die Menschen, die das eine, das andere oder beides sind. Und da darf kein Unterschied gemacht werden zwischen Lesben, Juden oder Menschen mit großen Nasen. Und nur eine dieser Gruppen (bzw. zwei – im Artikel sind Juden und Ausländer erwähnt) als explizit schützenswert zu erwähnen ist seltsam. Es geht keinem darum, Gewaltakte gegeneinander aufzuwiegen.
Ich kenne übrigens (soweit ich weiss) exakt zwei Juden – eine Lesbe und einen Schwulen. Finde ich in diesem Kontext irgendwie witzig. 😀
Kommentar by Carolin — 12. Dezember 2005 @ 11:17
Zu dem „schützenswert“ sagte ich ja bereits, dass der Staat alle Menschen gleichermaßen schützen muss und da keine Unterschiede machen darf (wenn man mal von Gefahrenpotenzialen absieht … wie einige Synagogen und Moscheen beschützt werden ist ja nun nicht gerade feierlich).
Und der Artikel behauptet eben, dass Homosexuelle mehr zu schützen wären als Juden – und dass im Koalitionsvertrag der Eindruck entstünde, die Regierung verfolge einen entgegengesetzten Weg. Das ist schlicht falsch.
Im Koalitionsvertrag wird unter Punkt 1.2 die besondere Bedeutung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs (exponiert wird an der Stelle vielmehr der Islam) hervorgehoben. Dieser wird als Voraussetzung gesehen, Rassismus, Antisemitismus und Extremismus jeder Art zu bekämpfen. Das ganze unter dem Spezialpunkt der Migration. Und es ist die einzige Erwähnung des Judentums im gesamten Koalitionsvertrag. Unter Extremismus lassen sich dabei durchaus auch „Hassstrukturen“ wider Homosexuellen subsummieren, wenn die geneigte Lesbe es gerne so mag. Dass in dem Kapitelchen nichts über Homosexualität zu finden ist, gebietet schlicht die Überschrift.
Nun kann man einwenden, dass in den Abschnitten über den gesonderten Schutz der Ehe die gleichgeschlechtliche Partnerschaft keine Erwähnung findet. Oder dass die sexuelle Selbstbestimmung lediglich im Bereich der Prostitutionsgesetzgebung genannt wird. Ich finde das aber absolut selbstverständlich – der Koalitionsvertrag ist Grundriss der künftigen Legislaturperiode und stellt irgendetwas zwischen kleinstem gemeinsamen Teiler und Kompromiss der beiden Regierungsparteien dar. Wer von einer christlichen Volkspartei gleich zu Beginn der Koalitionsarbeit so einen Hammer fordert, der hat keine Ahnung von Diplomatie. Ein zu frühes Eingeständnis der CDU in diesem Bereich könnte eklatante Nachteile in späteren Debatten haben, wenn es vielleicht um gänzlich andere Dinge geht.
Noch einmal: Peinlich finde ich die Aufregung „Die Juden werden erwähnt – aber wir sind doch die viel bemitleidenswertere Minderheit – s. Kriminalstatistik“. Total daneben und Zeugnis von Ignoranz und/oder Unkenntnis.
Kommentar by Nils — 12. Dezember 2005 @ 23:13
Imho behauptet der Artikel, dass Homosexuelle genau so zu schützen sind.
Theoretisch ja – wäre die Eu nicht. Fakt ist doch schließlich, dass die CDU und auch die SPD sich an die EU Richtlinie halten müssen, insofern wäre das kein Eingeständnis der CDU gewesen.
Der Artikel drückt keinesfalls aus, dass sich jemand als „bemitleidenswertere Minderheit“ sieht. Er bemängelt lediglich, dass zu anderen Minderheiten Stellung genommen wird, zu Homosexuellen allerdings nicht. Die Begründung dafür, dass dieses nötig ist, liefert er damit, dass es noch immer eine mehr Menge Gewalttaten gegen Homosexuelle gibt als gegen Juden, für die der Schutz durch den Staat anscheinend zumindest ansatzweise funktioniert.
Kommentar by Carolin — 13. Dezember 2005 @ 10:57