Ich kann eine ganze Menge Dinge ganz gut und eine ganze Menge nicht so gut. Etwas, das ich nicht gut kann, ist Dinge ungesagt lassen. Das macht mich wahnsinnig. Wenn ich nicht das Gefühl habe, dass Dinge geklärt sind, dann kann ich nicht essen, nicht schlafen und nicht denken.
Ich habe mich lange gefragt, warum das so ist. Ich glaube, ich weiss jetzt warum. Es gab einen Menschen, dem ich noch unendlich viel hätte sagen wollen und müssen. Dich. Ich war zu jung um zu verstehen, dass ich nicht mehr viel Zeit habe. Zwanzig Jahre ist es jetzt her, dass Du von uns gegangen bist – viel zu früh und doch war es irgendwo eine Erleichterung, weil Du so gelitten hast. Du hast mir viel beigebracht und ich hätte gerne noch viel Zeit mit Dir verbracht. Den Mauerfall hast Du nicht mehr erleben dürfen, genau wie meine Konfirmation und mein Abitur. Du wirst nie wissen, dass ich lesbisch bin und was aus mir geworden ist. Und auch Deine Urenkelkinder wirst Du nie kennenlernen. Vor ein paar Tagen habe ich die Kleine gesehen und ich glaube, sie sieht ein wenig aus wie Du. Das hätte Dir sicher gefallen. Du fehlst mir jeden Tag und ich werde mir wohl nie verzeihen, dass ich mich nicht ins Krankenhaus an Dein Bett geschlichen habe, um mich zu verabschieden. Ich hatte Dir noch so viel zu sagen, das jetzt für immer ungesagt bleiben muss.
Nach Deinem Tod war alles anders und doch hat sich irgendwann wieder Normalität eingeschlichen. Doch eine Sache ist tief in mir geblieben: Ich kläre die Dinge so schnell wie möglich, denn „Morgen“ kann morgen schon zu spät gewesen sein. Du fehlst mir.
Was bedeutet das für mich und mein Leben? Gute Frage. Ich denke, ich muss gut auf mich aufpassen, denn zu schnell hängt man sein Herz an Menschen, die anders sind, und wird verletzt.