Ich habe eben die Stereoanlage für meinen Vater richtig eingestellt und alle Steckverbindungen richtig eingestöpselt, weil er das eben alles nicht mehr so richtig kann. Zum sechzehnten Mal diesen Monat. Dann habe ich den Raum verlassen, bin in den Keller gegangen und vier Minuten später wiedergekommen – schon war die Anlage wieder rausgezogen aus dem HiFi-Schrank. „Ich hab nichts gemacht.“ Nur dass der Plattenspieler, der vier Minuten vorher lief, nicht mehr ging. Und ich ihn auch nicht wirklich zum Laufen bekommen habe.
Leben mit der Krankheit wird zunehmend schwieriger auszuhalten und ich merke, dass meine Geduld langsam aber sicher komplett dahin ist. Wie geht man damit um? Ich war immer sehr stolz darauf, dass ich mein Leben komplett hinten angestellt habe. Habe das Studium zurückgestellt, damit ich hier vor Ort bei ihm sein kann, wenn meine Mutter arbeiten ist. Habe jahrelang nach Außen den Schein gewahrt, als sei alles okay. Bin nach seinem letzten Zusammenbruch selbst psychisch so am Ende gewesen, dass ich kurzzeitig nicht mehr wusste, wohin mit mir.
Ich ertappte mich in den letzten Jahren zunehmend dabei, dass ich dachte, dass es im Prinzip auch egal ist, wie mein Leben die nächsten zwanzig Jahre so verläuft, weil alle Zeichen darauf schließen lassen, dass ich selbst „so ende“ wie mein Vater. Dieser Pessimismus steht mir nicht, da ich eigentlich eher ein optimistischer Realist bin, und er widerte mich selbst so ein wenig an. Gleichzeitig konnte ich aber auch nicht so richtig aus meiner Haut und bin mir auch jetzt nicht so richtig sicher, ob ich das im Griff habe, obwohl mir 2008 und 2009 eigentlich in diesem Bereich sehr viel klargeworden ist und ich deutlich zufriedener mit mir selbst bin.
Seit zwei Jahren weiss ich, dass es besser gewesen wäre, wäre ich ausgezogen, als ich zuerst ernsthaft darüber nachdachte. Ich wäre schon lange mit dem Studium durch und hätte einen Job und könnte mit diesem Polster des Erreichten und dem Abstand vermutlich auch besser auf ihn eingehen. Dumm gelaufen, lässt sich nicht ändern. Und wer weiss, ob meine Mutter das hier alleine so durchgestanden hätte. Dieses Jahr steht daher so ein wenig unter dem Stern „Lass stecken, Mädel, da musste jetzt durch“ – ich bin es tatsächlich leid, mich dafür zu rechtfertigen, warum die Dinge sind, wie sie sind. Ich stelle eh immer wieder fest, dass Menschen, die nie mit dem Krankheitsbild Demenz konfrontiert waren, kein Verständnis aufbringen können. Aber wie auch, wie grauenhaft sich das anfühlt, wenn der geliebte Ehemann oder Vater langsam aber sicher verschwindet und einem anderen Menschen Platz macht, das will man ja auch nicht wissen. Kann ich sehr gut nachvollziehen. Spaß ist nämlich wirklich anders.
5. Januar 2010
Leben mit der Krankheit
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