Ich habe wieder angefangen, Blogs von „den Leuten von früher“ zu lesen. Warum? Midlife Crisis, vermutlich. Also, in meinem Fall dann eher 2/3 Life Crisis. Aber egal.
Naja, und nun schneie ich hier jetzt 7,5 Jahre später in den Diskurs nebenan bei jan. Gerade bei der Diskussion, wer sich bei „queer“ mitgemeint fühlen kann und darf, gibt es so viel Gatekeeping. Dabei sollte es ganz simpel sein: Wirst Du von der Mehrheitsgesellschaft geothert wegen Deiner Art, zu lieben (oder nicht zu lieben) oder Dein Geschlecht zu erleben, dann bist Du queer. Herzlich willkommen im Club. Hier ist Dein Toaster.
Und ich erwähne einfach mal so nebenbei, dass genau jan & ben zwei von unter fünf Männern sind, die mir als Gegenbeispiel einfielen, als ich gestern mit einer Bekannten darüber sprach, dass eben doch ALL cis men trash sind. (Bis mir ein cis Mann das Gegenteil beweist, indem es auch nach seinem Tod keine Frau gibt, die toxische Kackscheiße über ihn aufdeckt, gehe ich erstmal davon aus, dass er Dreck am Stecken hat. Ich kann die Datenlage da einfach nicht länger ignorieren.) Die beiden sind für mich weit genug aus der toxischen Männlichkeit raus, dass ich sie auf einer Skala 1 Mann bis 10 Frau niemals auf die 1 packen würde? Trotz Vollbart und Seemannsoptik, lieber ben, sorry, Du bist einfach zu wenig scheiße für 100 % Männlichkeit. Oder Du bist halt schon über die 100 % hinaus? So männlich, dass man das einfach nicht mit toxischem Quark beweisen muss? Weiß auch nicht. Aber mittlerweile fällt es mir schwer, Männlichkeit nicht mit Toxizität zu verknüpfen, weil es sie so verdammt selten ohne gibt.
Oh, wow … das ehrt mich sehr, auch und gerade, weil ich Dich ja sehr mag und schätze und Du mir ja auch auf dem Weg zu jenem Punkt geholfen hast, mit diesem Blog, aber auch in Gesprächen und mit Einfach-Vorleben und dem Teilen von Dingen und Ansichten.
Und … ich habe gar kein Problem damit, keine 100% auf der Männlichkeitsskala zu erreichen. Ebenso sicher, wie ich mich immer als Mann gefühlt habe, habe ich aber auch immer gewusst, dass ich in das 100%-Schema nicht reinpasse. Lustigerweise passe ich nicht in obige Definition von queer, obwohl ich mal in einen Jungen verliebt war und seither weiss, dass das ein Teil des Möglichkeits-Spektrums ist, auf dem ich unterwegs bin, und das war für mich selber instantly okay. Ich bin in der Tat nie geothert worden. Im Gegenteil, es gab zwar auch Jungs, die in mich verliebt waren, aber im Grund bin ich immer als Cis-Mann gelesen worden, und wenn ich mir anschaue, was mich so ausmacht, dann sind da eben auch klassische maskulin-zugeschriebee Ideale mit drin. Aber eben auch einen Haufen eher feminin-zugeschriebene Eigenschaften. Ich glaube, in der Situation befinden sich in der Tat einige Nerds und Geeks. Der Moment, in dem man erkennt, dass man nicht Teil der Bier-Fussbal-Autos-Männer-Normkultur ist, nicht sein kann, öffnet man sich von alleine für die Dinge rechts und links und oben und unten davon.
Lustigerweise bin ich ja heute sogar noch viel weiter als in dem 2017er Diskur bei Jan. Ich fand Mae Martins Buch in der ganzen Gender-Debatte eigentlich den wertvollsten Beitrag (neben Kim Stanley Robinsons „2312“). Beide betrachten Sexualität und Gender nicht als Identitätsdefinitioen, sondern als Aspekt von ganz, ganz vielen Dingen, die man irgendwann im Leben mal macht. Ich kann mein Leben lang gerne Vollbart und Seemannsoptik tragen, aber gleichzeitig viele Charakterzüge an mir selber schätzen, die eigentlich femini-zugeschrieben sind. Ich kann gleichzeitig Makeup und Nagellack tragen. Ich kann ein paar Jahr gerne mit Frauen schlafen und mich zwischendurch in einen Mann verlieben. Und sobald wir erst die nötigen biologische-technisch-medizinischen Fortschritt haben, werde ich ich all das können und zusätzlich noch Babys austragen und stillen. Ich bin fest davon überzeugt, dass je weiter sich die Menschheit entwickelt, wir das, was wir lange Jahrzehnte und Jahrhunderte kulturell an den beiden biologischen Geschlechtern aufgehangen haben, aufteilen werden auf eine Myriade an körperlichen, charakterlichen, äusserlichen und handlungs- und zeitraum-abhängigen Möglichkeiten. Wir werden ein Kaleidoskop bekommen, gegen die paar Farben der Rainbow Flag, oder selbst der Intersex Inclusive Progress Pride Flag simplizistisch anmuten werden.
Aber … ich fürchte auch, dass wir immer das Problem des Geothert-werdens behalten werden, weil es Menschen allem Anschein nach irgendwie wichtig ist, oder etwas gibt, sich abzugrenzen, andere auszugrenzen. Ich hab keinen blassen Schimmer, was die Leute dazu treibt. Es ist mir wirklich das aller-unverständlichste der Welt, wie man eine Person dafür verachten kann, wen sie liebt. Wen. Sie. Liebt. Man kann das gar nicht deutlich genug betonen. Unfucking-fassbar. Aber ich finde es gut, den Focus auf diese Mechaniken zu legen. Es ist ja die Katastrophe des Priviligert-Aufwachsens, des Priviligiert-Seins, dass es so schwer fällt das zu erkennen und zu erkennen, dass man das nicht ist. Oder um Margarete Stokowski zu zitieren: „Ich bin doch nicht priviligiert, ich hab gestern noch selber den Müll rausgebracht.“ Und damit schliesst sich wieder das Kreis zum Anfang meines Kommentars: Geschichten zu lesen und zu hören, wie Du sie hier aufgeschrieben und mir erzählt hast, die ermöglichen zu erkennen, dass es überhaupt Menschen gibt, die geothert werden, dass das ein Problem ist, dass die anders aufgewachsen sind und anders leben, und das obwohl man soviel teilt … das ist wichtig. Das ist der Weg.
Ich meine … wir beide haben gendermässig sehr unterschiedliche Identitäten und Gewohnheiten, aber wir teilen ja auch irre vieles, das wir lieben. Ich fang jetzt nicht an aufzuzählen, das würde sicher eine lange Liste. Ich glaube, das kann man kaum überschätzen, wie wertvoll Gemeinsames ist, um Gemeinschaft herzustellen. Wie wertvoll Dein Beitrag hier ist. Also zumindest für mich. Danke daher nochmal für das Lob! Ich hab selten eines gelesen über das ich mich mehr gefreut habe. Schön, dass Du wieder bloggst.
(Aber … überleg doch mal, ob Du hier nicht ein frisches Theme aufziehen willst.)
Kommentar by ben_ — 18. Januar 2025 @ 15:12
<3
Ich glaub, Du hast auf jeden Fall Recht – viele Nerd/Geek-Jungs sitzen maskulinitätstechnisch zwischen den Stühlen. Ich hab früher immer gedacht, dass die dann dadurch zu netten Typen werden, aber wie wir an Zuckerberg und Co. sehen, landen die leider ganz häufig in dieser High-Value-Männer- Alpha-Dude-Podcast-Bro-Ecke. Gut, dass es, wie bei Dir, nicht immer so ist!
Ich bin absolut pro Kaleidoskop. Ich finde es ganz ulkig – ich bin ja auch viel weiter als damals, gendertechnisch. Sowohl, was den Diskurs angeht, als auch, was meine Identität angeht. Das Mädchen-Cosplay hab ich ja jetzt abgelegt und bewege mich einfach außerhalb des Binarys. Wenig überraschend vermutlich für alle, die mich kennen …
Ich freu mich voll, dass mein Blog und mein Gequatsche positive Auswirkungen haben konnten! Man denkt ja irgendwie doch oft ein bisschen, man schreibt in ein Vakuum und nur für sich selbst. Nicht, dass das schlecht wäre, im Gegenteil. Hier Gedanken zu sortieren war sehr lange sehr wichtig für mich.
(Ja, bei Gelegenheit verkleide ich das Blog wieder neu. Jetzt gerade fühlt sich der Throwback noch gut an.)
Kommentar by Feylamia — 18. Januar 2025 @ 17:38