Letztes Jahr im Zuge einer Prüfungsvorbereitung angefangen, aber nie so ganz zu Ende geschrieben. Da wirds jetzt doch mal Zeit:
Vor einer ganzen Weile twitterte ich folgenden Satz, der es eigentlich verdient, nochmal genauer beleuchtet zu werden:
Der Wandervogel und bündische Pfadfinder an sich ist personifizierte hegemoniale Männlichkeit und schämt sich dessen nichtmal. #erkenntnis
Vorweg: Klar ist das übertrieben, nicht alle sind so. Aber es gibt deutliche Tendenzen, die nicht nur mir immer wieder auffallen und die immer wieder Thema sind, wenn man sich mit anderen über „die Szene“ unterhält. Und jetzt gerade war wieder Ottenstein angesagt, da kann man sich das ganze ja auch prima live ansehen, wie man mir berichtete.
Was meine ich damit? Naja, zuerstmal kurz was zu hegemonialer Männlichkeit: Dieser Begriff bezeichnet die Art von Männlichkeit, die am effektivsten den Fortbestand eines Patriarchats sichert. Männerbünde sind sowieso schon einmal kleine Patriarchate, soweit so gut.
Warum aber nun sind Bündische so oft Vertreter der hegemonialen Männlichkeit? Das kann ich nicht sagen. Ich habe nur immer und immer wieder erlebt, dass alle Werte, die in Fahrtenliedern hochgehalten wurden, nicht mehr viel wert waren, wenn es darum ging, sie ins eigene Leben zu tragen. Ritterliche Tugenden? Fehlanzeige, gelebt werden die von den wenigsten, die sie sich eigentlich groß auf die Fahne schreiben.
Das äußert sich zum Beispiel darin, wie besagte Männer (also nicht alle, aber eben ein so großer Teil, dass es nicht nur mir immer wieder auffällt) mit Frauen umgehen. Frauen sind Schmückwerk, das erstmal einfach nur zu funktionieren hat. Ich hab das jetzt schon zig mal erlebt: „Blabla ich bin soundso. Hach, ich hab ja so ein tolles Verhältnis zu meinen Exfreundinnen. (Ich werde Dich gut behandeln, auch wenn wir uns irgendwann mal trennen. Ich bin total toll!) Ja, mein Bund geht mir über alles. (Ich bin total familiär! Ich bin total toll!) Kennst Du X, Y oder Z aus Bund A, B oder C, die sind doch da bei Dir in der Ecke? (Schau nur, wie viele Freunde ich habe! Ich bin total toll!) Ja, unsere letzte Fahrt ging nach bla blub, da gab’s schon auch schwierige Situationen, aber nichts, was man nicht unter Kontrolle gehabt hätte. (Schau nur, wie männlich, stark und kompetent ich bin! Ich bin total toll!) Du, ich finde Dich total nett/interessant (schau nur, ich kann Komplimente machen! Ich bin total toll!) – wie wär’s, treffen wir uns mal privat?“ Immer Schema F, immer in der Form sehr ausgeprägt gesehen bei solchen, die sich als jugendbewegt oder bündisch definieren, vor allem bei solchen, die aus Männerbünden kommen. Das legt schon fast nahe, dass es sich dabei einfach um ein Verhalten handelt, das in diesen Gruppen in der Form nicht nur gebilligt sondern auch unterstützt wird.
Im Gegenzug sehe ich immer wieder, wie Frauen darauf anspringen und die erst mühsam erkämpfte Emanzipation (als Mädels auf Fahrt zu gehen ist immerhin nicht immer ganz leicht – da gibt es oft erstmal ordentlich Gegenwind von den Jungs im eigenen Bund (so solche vorhanden sind), den Freunden und der Familie) ein Stück weit aufgeben, um genau diesen Männern zu gefallen. Dann steht sie im Röckchen am Herd, während der Herr der Schöpfung am Wochenende auf der Burg seiner Wahl Zeilen wie „wir haben die Spießer ängstlich gemacht“ schmettert, um dann nach Hause zu kommen, wo Liesbeth die Kinder ins Bett gebracht hat und die Erbsensuppe schon köchelt.
Ja, die meisten dieser Damen meinen, im Haus (oder in der Kohte) die Hosen anzuhaben – aber ist das wirklich so, wenn sie so bemüht das gegenteilige Bild nach Außen tragen? Auch hier sehe ich dieses Verhalten eher in reinen Mädelbünden als in gemischten, wieder eher bei Jugendbewegten als bei „Standard-Pfadfindern“. Inwieweit ist die Nichtanwesenheit des anderen Geschlechts da wohl Grund dafür, dass hier so uralte Rollenbilder und Clichés wieder ausgegraben werden?
Klar, ich würde lügen, würde ich sagen, dass mich das nicht auch aus nicht-emanzipatorischen Gründen ein wenig nervt. Denn fast jede Beziehung, die auf solcherlei Werben aufbaute, habe ich bisher zu Ende sehen gehen, einige davon mit richtig Anlauf und ordentlich Schwung und vielen Kollateralschäden in den jeweiligen Gruppen. Das ist natürlich ziemlich traurig, wenn Unbeteiligte darunter leiden müssen. Ein Grund mehr, warum ich nicht nachvollziehen kann, wie sehr die Lederhosencasanovas und Fahrtenrockdirnen in ihren Gruppen anscheinend auf Rückhalt stossen …
Ähnlich interessant finde ich die Einstellung von vielen Bündischen zu Homosexualität. (Da könnte ich zig Bücher drüber schreiben, wie unglaublich homophob viele Jujaträger sind …) Nun ist ja gerade der Wandervogel an sich da sowieso gerne mal seeehr sensibel (Gruß von Hans Blüher ;)) – aber ein befreundeter Wundervogel erzählte mir mal, dass man an sich kein Problem mit Schwulen habe. Man hätte sie nur aus den gleichen Gründen nicht dabei wie Frauen: Liebe im Bund würde die Dinge unnötig verkomplizieren.
Und genau an der Stelle muss bzw. will ich aus den meisten Diskussionen über das Thema aussteigen, weil ich merke, dass die Einstellung zum „Lebensbund“ einfach so extrem unterschiedlich ist. Ich glaube: Lebensbünde jedweder Art sind immer kompliziert. Lebensbünde sind immer von starken Emotionen geprägt. Lebensbünde an sich sollten über allem erhaben sein. Und der Lebensbund, den zwei sich liebende Menschen nochmals ganz bewusst innerhalb ihres Bundes schliessen, ist eigentlich das Größtmögliche, das fast Unerreichbare. (Wobei mir durchaus bewusst ist, dass das Konzept „Lebensbund“ ganz schön ausgenudelt ist und die meisten, die davon sprechen, es nicht wirklich so leben, wie ich es eigentlich hoffen würde.)
Ich glaube, ich kann mir nichts besseres vorstellen, als innerhalb des eigenen Stammes, Bezirkes, Bundes, was auch immer die Frau fürs Leben zu finden. Zu wissen, dass man Werte und Normen teilt, zu wissen, dass man den Rückhalt in dieser großen Familie hat und weiterhin haben wird – das ist eigentlich die größtmögliche emotionale Erfüllung?
Das mit den Beziehungen innerhalb von Bünden, Stämmen etc. kenne ich. Ich hatte zwar noch nie eine, aber es ist immer interessant zu beobachten, wie sich die einzelnen Pärchen entwickeln. Da gibt es die einen, die die Regel: „Solange wir auf Fahrt sind, sind wir nur Freunde.“ vertreten, aber auch durchaus Dauer-Händchen-halte-Pärchen. Mitterlweile gibt es bei uns im Bund auch viele verheiratete Paare, die sich über die Pfadfinder kennen gelernt haben…aber auch ebenso viele Leute, die sich nach gescheiterten Beziehungen spinnefeind sind und sich meiden, wo es nur geht (doof nur, wenn man dann 2 Wochen zusammen auf Haijk ist und sich nicht aus dem Weg gehen kann…).
Hmm…wie es mit Homosexualität bei uns im Bund aussieht kann ich nicht sagen, da ich niemanden kenne, der sich geoutet hat. Wir hatten zwar mal einen schwulen Gruppenführer, aber von dem erfuhr ich erst, nachdem er wegen seiner Ausbildung weggezogen war. Aber interessant wäre es schon, da mal nachzubohren. Immerhin steht ja überall, dass wir interkonfessionell und multikulturell sind.
Kommentar by Kibeth — 14. Juni 2010 @ 23:52
Ich kann mir gut vorstellen, mit einer Pfadfinderin alt zu werden, aber die Gefahr ist halt immer, dass so eine Beziehung in die Brüche geht und dabei die Gruppe spaltet. Ich denke, man sollte sich da schon recht sicher sein, bevor man sich auf sowas einlässt. 🙂
In welchem Bund bist Du denn?
Kommentar by Feylamia — 15. Juni 2010 @ 0:06
Jop, gescheiterte Beziehungen können das Gruppenleben ganz schön komplizieren. Ich kenne da Fälle, wo X sich extra Wochen vorher erkundigt, ob Y auch zu einem Lager kommt damit sie rechtzeitig absagen kann.
Ich bin beim Pfadfinderbund Weltenbummler. Hehe, wir haben auch blaue Hemden und unsere Wölfis schwarz-gelb gestreifte Halstücher. 🙂
Kommentar by Kibeth — 15. Juni 2010 @ 11:06
Da meine Exfreundin und ich nicht im gleichen Bund sind funktioniert das sehr problemlos, aber ansonsten würde ich mich wohl auch zurückziehen, weil ich keine Lust auf Diskussionen mit ihr oder mit Dritten habe. Aus dem Alter, wo ich mich für meine Gefühle rechtfertigen müsste, bin ich zum Glück raus.
Ah, Weltenbummler. Wir waren 2007 bei Exploris, da seid ihr ja auch rumgesprungen. 🙂
Kommentar by Feylamia — 15. Juni 2010 @ 11:14